Alstom: Bei den Protesten in Mannheim beklagen die Mitarbeiter die Informationspolitik / Management lehnt neue Job-Garantie ab
„Niemand bleibt ungeschoren”
Von unserem Redaktionsmitglied Matthias Kros
Mannheim. Es zieht sich wie ein roter Faden durch diesen Vormittag. "Wir bekommen keine Informationen", bringt es ein Alstom-Auszubildender auf den Punkt, als der Protestzug am Alten Messplatz in Mannheim angekommen ist. "Diese Ungewissheit macht uns echt zu schaffen", stößt ein Mitarbeiter aus der Turbinenfertigung ins gleiche Horn. "Wo bleibt eine Perspektive für den Standort?"
Aber auch den Arbeitnehmervertretern geht es in diesen Wochen kaum besser: "Wir sind es leid, aus der Presse zu erfahren, welche Beschlüsse bei Alstom auf Vorstandsebene gefallen sind", schimpft Reinhold Götz, Geschäftsführer der Gewerkschaft IG Metall Mannheim. "Eine solche Informationspolitik hat auch etwas mit fehlendem Respekt uns gegenüber zu tun", fügt Kai Müller, Chef des Europäischen Betriebsrates von Alstom, hinzu. Er kann sich noch gut an das Treffen des Europäischen Betriebsrates mit Konzernchef Patrick Kron erinnern, zwei Tage nachdem alle Medien erstmals von der geplanten Übernahme Alstoms durch General Electric (GE) berichtet hatten. "Da hat Patrick Kron uns gegenüber immer noch behauptet, es gäbe überhaupt keine Gespräche".
Die Enttäuschung unter den rund 1500 Alstom-Beschäftigten ist entsprechend groß, als sie an diesem Tag vom Mannheimer Alstom-Werk bis zum Alten Messplatz laufen. Enttäuscht sind sie beispielsweise vom Management, das offenbar plant, die Beschäftigungssicherung an allen deutschen Standorten zum Jahresende zu kündigen. Ab 2015 wären die Mitarbeiter somit nicht länger vor betriebsbedingten Kündigungen geschützt. "Wir werden jetzt zum Opfer der Übernahme", schüttelt ein Mitarbeiter aus der Qualitätssicherung den Kopf.
Übernahmekampf
Am Mannheimer Alstom-Standort arbeiten rund 1800 Menschen, vor allem in den Bereichen Turbinenproduktion und -entwicklung, Kraftwerksplanung und Service.
Bundesweit beschäftigt Alstom etwa 9000 Mitarbeiter.
Der Konzern ist angeschlagen und soll - zumindest in Teilen - verkauft werden. Derzeit verhandelt Alstom vor allem mit dem US-Konzern GE. Interesse hat aber auch Siemens. In beiden Fällen dürften in Mannheim etliche Stellen wegfallen, weil es große Überschneidungen gibt.
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„Provokation zur Unzeit”
Die Beschäftigungsgarantie sei 2011 unter völlig anderen Marktbedingungen unterschrieben worden, rechtfertigt ein Firmensprecher den Schritt. "Entsprechend kann das Unternehmen wegen der aktuellen Bedingungen in den Absatzmärkten zunächst die bestehende Beschäftigungssicherung über den 31.12.2014 hinaus nicht verlängern. Neue Zusagen kann die Unternehmensleitung derzeit nicht machen." Dem Vernehmen nach hatte sich der Konzernbetriebsrat für einen neuen, vierjährigen Kündigungsschutz stark gemacht.
"Unanständig" sei das Auslaufen der Beschäftigungsgarantie, sagt dagegen Götz, und spricht von einer "Provokation zur Unzeit". Angeblich kam der Druck dazu aus Paris, ist von mehreren Seiten zu hören. "Das zeigt doch, dass die Manager in Deutschland nur noch Erfüllungsgehilfen der Konzernzentrale sind", so der IG Metall-Chef. Eines kann er sich deshalb nicht verkneifen: "Keiner wird ungeschoren davonkommen", ruft er in Richtung der deutschen Manager vor dem Hintergrund, dass bei Firmenkäufen in der Regel die Führungskräfte des übernommenen Unternehmens als Erstes ausgetauscht werden.
Enttäuscht sind die Alstom-Mitarbeiter aber auch von der Politik. "Das ist eine schwache Leistung", sagt ein Auszubildender. Am Sonntag hatte es Kanzlerin Angela Merkel (CDU) abgelehnt, sich in die Gespräche über die Zukunft von Alstom einzuschalten. "Das sind unternehmerische Entscheidungen", hatte sie nach einem Treffen mit dem französischen Präsidenten François Hollande gesagt. Der Auszubildende kann das nicht nachvollziehen. "Die Banken wurden doch auch gerettet", stellt er Merkels Ansicht gegenüber. Gleiches gelte für die Heidelberger Druckmaschinen AG, die in der Krise ja nur durch staatliche Finanzhilfen vor der Pleite gerettet worden sei.
Auch Konzernbetriebsratschefin Elisabeth Möller fordert die Politik auf, "nicht länger tatenlos zuzusehen". Zumal sich der Staat in Frankreich massiv einmische - im Falle einer Übernahme ist von Job-Garantien für die französischen Alstom-Mitarbeiter von drei Jahren die Rede. "Einen solchen Schutzschirm muss es aber für alle Beschäftigten und Standorte in Europa geben".
© Mannheimer Morgen, Dienstag, 13.05.2014