Spatz in der Hand

Von Ruth Weinkopf – Mannheimer Morgen

Wie so oft liegen auch im Kompromiss um die Zukunft des Mannheimer Alstom-Werkes Licht und Schatten dicht beieinander. Während beispielsweise die Beschäftigten in der Kraftwerksplanung mit dem Erreichten zufrieden sein können, stehen ihren Kollegen aus der Generatorenfertigung wahlweise Tränen oder blanke Wut in den Augen. In ihren Ohren wird nur eine Aussage hängen bleiben: Zu teuer - nicht konkurrenzfähig - Tschüss.

Der gefundene Kompromiss folgt dem alten Spruch, dass manchmal der Spatz in der Hand mehr ist als die Taube auf dem Dach. Udo Belz und seine Kollegen haben wohl das Maximale für die Belegschaft erreicht - mehr war nicht drin. Gleichwohl ist es bitter für den streitbaren Betriebsratschef, dass er seine Kollegen nur finanziell absichern, nicht aber den Generatorenbau und seine Arbeitsplätze in Mannheim halten konnte. Aus Sicht vieler Mitarbeiter wiegt die Entscheidung der Produktionsschließung schwerer als das Versprechen, die europaweite Kompetenz für Dampfturbinen von der Schweiz nach Mannheim zu verlagern. Wer im Generatorenbau seinen Job verliert, wird schwerlich im Kompetenzzentrum eine neue Stelle finden. Die Kröte, die Udo Belz und seine Mitstreiter für die dreijährige finanzielle Absicherung geschluckt haben, liegt den betroffenen Generator-Bauern ziemlich unverdaulich im Magen.

Die Aussicht, in oder um Mannheim bis zu 150 neue Arbeitsplätze zu schaffen, klingt zwar gut, aber auch noch recht vage. Vor allem deshalb, weil sich Alstom zur Schaffung in etwa gleichwertiger Jobs verpflichtet hat. Welcher Metall verarbeitende Betrieb mit Tarifbindung baut in diesen Zeiten schon Arbeitsplätze auf? Der Spatz in der Hand mag - auf den gesamten Standort bezogen - die Taube auf dem Dach ersetzen. Die Generatorenbauern allerdings müssen diesen Kompromiss zwangsläufig anders sehen.

Alstom schließt, streicht und sichert ab

Von unserem Redaktionsmitglied Ruth Weinkopf – Mannheimer Morgen

Mannheim verliert den Generatorenbau und 170 Stellen, wird aber Kompetenzzentrum

Mannheim. Jetzt ist es amtlich: Ende 2007 wird Alstom seine Generatorenfertigung in Mannheim Käfertal schließen. Betroffen von diesem Schritt sind rund 90 Mitarbeiter, denen allerdings bis Ende 2010 nicht gekündigt werden kann. Gemäß der Einigung zwischen Management und Betriebsrat über die Zukunft des Werkes Mannheim konnten zwar nicht alle 1357 Arbeitsplätze der Alstom Power Generation AG gesichert werden, doch der Betriebsrat hat in den 13 Verhandlungsrunden eines erreicht: Die Betroffenen sind drei Jahre länger finanziell abgesichert als ihre Stellen existieren.

Nachdem sich Management und Betriebsrat vor genau einer Woche grundsätzlich über die Zukunftschancen des Werkes Mannheim geeinigt hatten, informierte der Betriebsrat die Belegschaft gestern in einer Betriebsversammlung über die Details des Kompromisses. Neben positiven Aspekten wie der Tatsache, dass das Werk europäisches Kompetenzzentrum für Dampfturbinen wird und in diesem Geschäftsbereich künftig auch Entwicklung und Vertrieb leitet, müssen die Arbeitnehmervertreter allerdings auch eine dicke Kröte schlucken: Die Generatorenfertigung wird Ende 2007 geschlossen, die Alstom Power Generation verliert weitere 170 Arbeitsplätze.

Der Konzern verpflichtet sich allerdings, bis Ende 2010 keinen Mitarbeiter zu entlassen. Die Franzosen wollen in Firmen, an denen sich Alstom mit maximal 33 Prozent beteiligen wird, 100 bis 150 neue Arbeitsplätze schaffen - entweder auf dem Betriebsgelände im Stadtteil Käfertal oder im Großraum Mannheim. Die Frage, wen Alstom als Job-Partner gewinnen will, lässt Gérard Brunel, Vorstandsvorsitzender der Alstom Power AG, allerdings offen. Sollten diese Unternehmen nicht erfolgreich arbeiten, haben die Alstom-Werker bis 2010 eine „Rückfahrkarte” in den Konzern.

Allen guten Nachrichten für Mannheim zum Trotz - auf der Betriebsversammlung schwankt die Stimmung der Alstom-Werker zwischen Trauer und Wut. Jürgen Brosche bringt es auf den Punkt: „Lasst euch nicht täuschen, der Kampf um die Arbeitsplätze ist noch nicht ausgestanden”, sagt der Mitarbeiter des Generatorenbaus mit Tränen in den Augen. „Was wird nach 2010 geopfert?”, fragt Brosche in die Versammlung, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. Auch Udo Belz liegt das Aus für die Produktion „quer im Magen”. Der Betriebsratsvorsitzende, der die reinen Fakten des Kompromisses noch emotionslos kommuniziert hatte, wurde später laut und deutlich: „Ich halte es nach wie vor für falsch, dass der Vorstand die beste Generatorenfertigung im gesamten Konzern schließt”, schrieb Belz dem Management ins Stammbuch. Sein Kollege Wolfgang Alles spricht von einer „Irrsinns-Entscheidung”. Allerdings wären an diesem Punkt fast die gesamten Verhandlungen gescheitert, weshalb Belz und sein Vize Ralf Eschmann die gefundene Lösung nicht kleinreden wollen. Beide nehmen den Vorstand aber schon jetzt in die Pflicht: Die rechtliche Umsetzung des Kompromisses müsse in Punkt und Komma den vor einer Woche gefundenen Eckdaten entsprechen. „Ansonsten gehen wir wieder auf die Straße”, droht Belz in Richtung Management.

Gérard Brunel wird ausgepfiffen, als er einmal mehr beteuert, dass Alstom „es ernst meint mit dem Standort”. Der Manager rechtfertigt die Schließung mit der Tatsache, dass Mannheim zum einen Generatoren baut, die der Markt nicht mehr haben will und zum anderen mit dem Lohnkostenniveau, das international nicht konkurrenzfähig sei.

vom 13.01.2006

"Auftragslage bei Alstom passt nicht zu Kahlschlag"

Mannheimer Betriebsrat: Stellenabbau überdenken

MANNHEIM/PARIS (mw). Die „Kahlschlagpläne” der Pariser Alstom-Konzernleitung für den Kraftwerksbau am Standort Mannheim (wir berichteten) stehen nach Ansicht des lokalen Betriebsrats in „eklatantem Widerspruch” zu den gestern veröffentlichten Erfolgsmeldungen bei Umsatz und Auftragseingang.

Nach neun Monaten des Geschäftsjahres 2005/06 (April bis Dezember) hat der Alstom-Konzern den Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um 10 Prozent auf 10,25 (Vorjahr: 9,35) Milliarden Euro gesteigert. Das Volumen der gebuchten Aufträge ist um 6 Prozent auf 12,86 (12,1) Milliarden Euro gestiegen. Allein im dritten Quartal hat Alstom Auftragseingänge im Wert von 5,4 (3,82) Milliarden Euro erhalten. Dieses Wachstum ist nach Darstellung des Konzerns vor allem der Kraftwerkssparte zu verdanken gewesen, zu der auch das Mannheimer Alstom-Werk gehört.

Dessen Betriebsrat kritisiert, dass die Konzernleitung - trotz der nach oben korrigierten Erwartungen beim Auftragseingang für das gesamte Geschäftsjahr (plus 5 Prozent) - daran festhält, die Generatorenfertigung zu schließen und das Stellenabbauprogramm fortzusetzen. Dieses würde nach früheren Angaben des Betriebsrats fast 1000 Arbeitsplätze kosten, bezogen auf das Jahr 2003, als bei Alstom in Mannheim noch rund 2400 Arbeitnehmer beschäftigt gewesen seien. Die Zahl der verbliebenen Beschäftigten Ende Dezember 2005 bezifferte der Betriebsrat mit rund 1970. Dieser forderte gestern die Konzernleitung auf, die Stellenabbaupläne zu überdenken und bei der nächsten Verhandlungsrunde am 18. Januar die verbesserte Ausgangslage des Konzerns zu berücksichtigen.

vom 31. 01. 2006

KOMMENTAR

Nur eine Galgenfrist?

Von Michael Wendel
Noch ist es nur ein Rahmenkonzept, noch sind es nur Eckpunkte, auf die sich Arbeitnehmervertreter und Geschäftsleitung bei Alstom in Mannheim nach harten Verhandlungen geeinigt haben. Wie tragfähig und belastbar der neuerliche Standortsicherungsvertrag sein wird, um dessen Formulierungen die Kontrahenten in den nächsten Wochen ringen, wird sich zeigen, wenn gegen Ende des Jahrzehnts das nächste Auftragsloch droht. Die jüngere Geschichte des Kraftwerksbaus in Mannheim macht da nicht viel Mut. Sie liest sich als ein permanenter, von heftigen Arbeitskämpfen begleiteter Schrumpfungsprozess. Stück für Stück wurde aus dem Standort herausgebrochen, erst unter der Ägide von BBC, dann von ABB und jetzt von Alstom. Auch der neue Standortsicherungsvertrag hat seinen Preis: Die Generatorfertigung wird eingestellt. Weil sie nicht wettbewerbsfähig ist, so die wenig überraschende Begründung des Alstom-Managements.

Was kommt nach 2010, wenn die Arbeitsplatzgarantie ausläuft? Sind die Jahre bis dahin nur eine Galgenfrist? Die blumigsten Bekenntnisse aus Paris zum Standort Mannheim lassen nicht vergessen, dass die Alstom-Führung schon einmal über das komplette Aus nachgedacht hat. Wie ernsthaft es den Konzernstrategen in Frankreich mit der Zukunftsfähigkeit Mannheims ist, wird sich auch daran ablesen lassen, wie intensiv sie sich dem lukrativen Geschäft mit Geo- und Solarthermie zuwenden.

Im nächsten Auftragsloch wird sich zeigen, wie ernst es Alstom ist mit der Standortsicherung in Mannheim.

Jubilarfeier der IG Metall Heidelberg

Von über 700 Kolleginnen und Kollegen, die es zu ehren galt, begrüßte Mirko Geiger, 1. Bevollmächtigter der Heidelberger Verwaltungsstelle, über 200 Anwesende im großen Saal der Stadthalle.

Ihre Mitgliedschaft geht über den Zeitraum von 25, 40, 50 und 60 Jahren, in denen sie der IG Metall die Treue gehalten haben. Außergewöhnlich war die Anwesenheit von zwei Kollegen, die für ihre 75jährige Gewerkschaftsmitgliedschaft besonders geehrt wurden. Beide Kollegen, Georg Schöpf und Albert Appenzeller, kamen in Begleitung von Frau, Tochter, Enkel und Schwiegersohn. Beide waren alters entsprechend noch sehr fit, und gaben auf Fragen der RNZ nach Werdegang und Veränderungen innerhalb der Gewerkschaft sehr präzise und detaillierte Antworten. Beide unterstrichen, dass sowohl das Solidaritätsverhalten als auch die Bildungsmöglichkeiten im Metallarbeiterverband 1930, dem Datum ihres Eintritts, die Hauptgründe für diesen Schritt waren. Dass der Machtantritt der Nazis 1933 nicht verhindert werden konnte, bedauerten beide Kollegen sehr. Sie betonten aber auch, dass die IG Metall heute genauso notwendig ist wie damals.

Hier übernahm Kollege Karl-Heinz Becker, der für seine 50jährige Mitgliedschaft geehrt wurde, einige Antworten an die RNZ. Er war Jahrzehnte lang Betriebsrat, Betriebsratsvorsitzender, Mitglied des Ortsvorstandes der IGM in Heidelberg und setzte bei der Fa. Lincoln in den letzten Jahren wichtige Umweltstandards durch, die auch in anderen Betrieben Schule machen. Bei allem positivem, was unsere Organisation durchgesetzt habe, so Karl-Heinz Becker, so notwendig wäre es wieder ein kämpferischeres Herangehen um soziale Missstände und vor allem die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Herr Bürgermeister Dr. Joachim Gerner übermittelte die herzlichen Grüße der Stadt Heidelberg und der Oberbürgermeisterin Frau Beate Weber. Er betonte, die zu Ehrenden hätten viele Jahre unser Land mit aufgebaut und damit zu Wohlstand und sozialem Frieden beigetragen. Gerhard Zambelli, früherer Bezirksleiter der IGM im Bezirk Baden-Württemberg und in den achtziger Jahren 2. Bevollmächtigter in Heidelberg, ging in seiner Laudatio auf viele gesellschaftliche Aspekte und die Rolle der Gewerkschaften ein. Er kannte noch viele Kolleginnen und Kollegen persönlich und ging in seiner Aufzählung der Auseinandersetzungen von damals, ein. Lohnrahmen II, und den Kampf um die 35-Stunden-Woche ließ er ebenso Revue passieren wie den Kampf um die Erhaltung der Fa. Harvester, der früheren Waggon-Fuchs und späteren Dresser, um letztlich als Furukawa weitere Jahre zu überleben. Er dankte den Jubilaren mit den Worten: "Ohne euch und euer ständiges Bemühen um gesellschaftlichen Fortschritt sähe die Heidelberger Region nicht immer noch so gut aus, wie dies noch der Fall ist!" Der "kleine Alstom-Chor” aus Mannheim umrahmte die Feier mit mehreren Arbeiterliedern, die von den meisten der Anwesenden mitgesungen wurden. Das aktuellste davon, "Rèsistance", das sich gegen den ständigen Arbeitsplatzabbau bei ABB in Mannheim richtet, war sicherlich der Höhepunkt ihrer sehr überzeugenden Darbietung.

Manfred Hoppe, 2. Bevollmächtigter der IGM vor Ort, bedankte sich bei allen Kolleginnen und Kollegen der Verwaltungsstelle für die Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung. ER beendete die Jubilarehrung mit Dankesworten an die Älteren und rief sie dazu auf, beispielgebend auf Familienmitglieder und ihr gesellschaftliches Umfeld einzuwirken, um die Gedanken der sozialen Gerechtigkeit und Solidarität zu verwirklichen.