Alstom II: Egon Mäurer hat 1973 hier angefangen, Wolfgang Alles 1987 – beide kennen die Geschichte des Mannheimer Werks
„Natürlich habe auch ich Angst"
Von unserem Redaktionsmitglied Heiko Brohm
Mannheim. Noch ziemlich gut kann sich Egon Mäurer an das Jahr 1973 erinnern. Damals kam er als junger Ingenieur zu dem Unternehmen BBC nach Mannheim. "Das war sagenhaft gut, ich war einfach froh, dass ich in so einer Firma war", sagt Mäurer, noch heute hört man seine Begeisterung. "Es folgten sieben goldene und dann über 30 schwarze Jahre." Aus dem BBC-Werk wurde ABB und schließlich Alstom, "und bei uns wurde jedes Jahr eine neue Sau durchs Dorf getrieben."
Seit einem Jahr ist Egon Mäurer im Ruhestand, er muss keine Angst mehr um seinen Arbeitsplatz haben. Und doch lässt ihn das Unternehmen, das doch 40 Jahre auch "sein" Unternehmen war, nicht los. "Wir" und "uns" sagt der 66-Jährige, wenn er von Alstom spricht. "Und für die Kollegen heute ist das natürlich alles ganz schlimm."
Wolfgang Alles ist einer der Kollegen. Gut eineinhalb Jahre will der gelernte Werkzeugmacher noch bei Alstom arbeiten, bevor er in Ruhestand geht. 1987 hatte er bei der Vorvorgängerfirma BBC angefangen. Beide, Mäurer und Alles, haben viel erlebt in den vergangenen Jahrzehnten. Zweimal hat sich der Name ihres Arbeitgebers geändert, weil das Werk jeweils verkauft wurde. Immer wieder ging es ums Ganze, Anfang der 80er Jahre fingen dann die Probleme an. "Es waren die Atomkraftwerke", sagt Mäurer, "mit denen kamen die Schwierigkeiten."
Jahre mit guter Auftragslage und Flauten hätten sich dann immer wieder abgewechselt, das Management habe zudem große Fehler gemacht. Nach und nach seien viele lukrative Geschäftsfelder verkauft worden, nun sei man fast gänzlich auf das Turbinengeschäft angewiesen, "und das ist heute einfach zu wenig", findet Mäurer.
Das ständige Auf und Ab im Betrieb habe Spuren in der Belegschaft hinterlassen, das bestätigen die Alstomer, die beide lange im Betriebsrat aktiv waren. Die psychische Belastung durch die immer wiederkehrende Unsicherheit habe zu Motivationsproblemen und Burn-Outs geführt. "Extrem negativ" sei das, sagt der 61-jährige Alles, und doch habe es auch etwas Gutes gehabt: "Wir haben eine Kultur der Solidarität und des Widerstands entwickelt, ohne die es den Standort nicht mehr gäbe", da ist sich Alles sicher. Mäurer erinnert etwa an eine siebentägige Betriebsversammlung, "so was hatte es noch nie gegeben."
Wird es ihn aber auch weiter geben, den Standort Mannheim? Hier sind sich die beiden Alstomer nicht ganz einig. "Ich glaube nicht, dass es den Betrieb in dieser Form in zehn Jahren noch gibt. Leider Gottes", sagt Mäurer. "Mit dem geringen Portfolio hat Mannheim kaum mehr Chancen. Es ist eine Katastrophe." Wolfgang Alles dagegen sieht eine Zukunft für den Standort. "Natürlich habe auch ich Angst, aber die müssen wir gemeinsam überwinden und in Kampfgeist umwandeln. Dann bin ich optimistisch."