Alstom I: Aktionstag auf dem Mannheimer Werksgelände / Beschäftigte fühlen sich von Konzernspitze schlecht informiert

„Wir hätten es verdient, mehr zu erfahren”

  Sie fordern von der Geschäftsführung Informationen darüber, ... © Markus Prosswitz / masterpres Sie fordern von der Geschäftsführung Informationen darüber, ...
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Von unserem Redaktionsmitglied Martin Tröster

Mannheim. Fast überschlägt sich die Stimme von Elisabeth Möller. "Die Energiewende wurde verschlafen." Vorschläge der Arbeitnehmerseite seien ignoriert worden. "Und dieses desolate Vorgehen müssen wir jetzt wieder ausbaden", feuert die Betriebsratschefin in schrillem Ton gegen die Konzernleitung. Man werde sich das nicht gefallen lassen. Zornig klingt sie auf dem Alstom-Werksgelände in Käfertal. Laut IG Metall hat sie bei der Kundgebung um die 2000 Zuhörer: Beschäftigte aus allen deutschen Alstom-Werken, Gewerkschafter und Vertreter von Unternehmen der Region. Worte wie "Pfui!" und "Bäh!" würzen Möllers Rede. Die Mitarbeiter pfeifen und johlen.

Zug durch die Stadt

Würde Siemens oder der US-Riese General Electric den französischen Konzern mit seiner Mannheimer Turbinenfertigung tatsächlich übernehmen, so werde es herbe Einschnitte geben, vermutet Möller: "Mit Siemens gibt es Überschneidungen in allen Bereichen. Das betrifft auch das Management. In diesem Fall sind wir alle in einem Boot." Müller fordert im Fall einer Übernahme Lohn nach Tarif, einen mehrjährigen Kündigungsschutz, Erhalt aller Standorte und eine dreijährige Beschäftigungsgarantie.

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Vor den backsteinfarbenen Häusern aus alter Industriezeit schwingen rote Fahnen. Neben einer etwa fünf Meter hohen Gedenktafel mit dem Titel "Dem ehrenden Gedenken an unsere toten Kameraden" für die, die einmal hier gearbeitet haben und im Ersten Weltkrieg gefallen sind, stehen die Redner und kämpfen gegen die Angst vor dem Aus für den Mannheimer Standort. Mit jedem Redner steigt zunächst der Lärmpegel. Hupen, Tröten, Pfeifen wechselt sich mit den Parolen des nächsten Redners, des Europa-Betriebsratsvorsitzenden Kai Müller aus dem Bexbacher Werk: "Internationale Solidarität" oder "Stoppt den Personalabbau" lauten die Parolen.

In dieser aufgeheizten Situation stellt sich der Vorstandsvorsitzende der nicht eben wohl gesonnenen Menge. Der Auftritt von Alstom- Deutschland-Chef Alf Henryk Wulf birgt die größte Spannung während der zwei Stunden. Sagt er, wer Alstom übernimmt? Wie viele ihren Job verlieren? "Ich kann das leider zum jetzigen Zeitpunkt nicht kommentieren", sagt er. Laute Buh-Rufe. Jedoch, so Wulf weiter, werde sich Konzernchef Patrick Kron am heutigen Mittwoch noch vor Börsenbeginn um 9 Uhr zur Zukunft des Unternehmens äußern. Mehr könne er, Wulf, jetzt nicht sagen: "Tut mir leid." Eins könne er aber versichern, egal, wer Alstom übernehme: "Wir stellen einen Wert dar, dieser Wert sind Sie." Erstauntes Schweigen, ein Hoffnungssignal? Dann kommen doch wieder die Buh-Rufe.

Noch als Wulf da ist, ergreift Betriebsrat Dietmar Lang das Mikrofon: "Wir hätten es verdient, ein bisschen mehr von Ihnen zu erfahren. Werden wir amerikanisch, werden wir deutsch?" Der Lärmpegel hat seinen Höhepunkt erreicht, der Krach kommt jetzt geballt und einheitlich. Verglichen damit plätschern die restlichen Reden eher vor sich hin.

Wieder Fahrt nimmt der Protest beim Demonstrationszug über die Friedrich-Ebert-Straße und die Lange Rötterstraße auf. Eine lange, laute rote Reihe zieht durch die Neckarstadt. Laut IG Metall laufen 1800 mit, laut Polizei sind es 1000.

Auf dem Alten Meßplatz gibt es weitere Kundgebungen, Solidaritätsadressen werden vorgelesen - weil es so viele sind, irgendwann nur noch die Überschriften. Und der Alstom-Chor singt Lieder wie "Keine Wahl", mit Zeilen wie "es brennt im Revier, doch Alstom bleibt hier". Auch die Auswärtigen sind noch da. Zum Beispiel ein 50-jähriger Kesselbauer aus dem Werk im sächsischen Neumark, der mit etwa 50 Kollegen angereist ist. "Wir hatten 300, 400 Prozent Auslastung und jetzt soll es auf einmal null sein. Und keiner hat vorher mit uns geredet." Zwei Stuttgarter Ingenieure, die mit knapp 40 Kollegen da sind, klagen ebenfalls: "Es heißt immer, dass für Dampfkessel und Turbinen kein Markt da sei. Aber unsere Konkurrenten wie Siemens haben komischerweise immer Aufträge. Da muss man sich schon einige Fragen stellen."

© Mannheimer Morgen, Mittwoch, 30.04.2014 – Ganze Bilderstrecke