Vorbildliches Beharren

19.10.2010 / Betrieb & Gewerkschaft / Seite 15

Vor zehn Jahren wurde beim Mannheimer Kraftwerksbauer Alstom eine paritätische Kommission zur Verbesserung des Arbeitsschutzes etabliert

Von Herbert Wulff

Alstom-Montagehalle in Mannheim
Alstom-Montagehalle in Mannheim.
Auf Druck des Betriebsrats wird in dem Betrieb seit Jahren intensiv nach gesund­heitsbelastenden Arbeits­bedingungen gesucht und Abhilfe geschaffen
Foto: Waldrich Coburg

Die Beschäftigtenvertretung bei »Alstom Power« in Mannheim ist in vieler Hinsicht Vorreiter. Das gilt nicht nur für die Art, wie sie in den vergangenen Jahren Auseinandersetzungen um den Erhalt des Werks– u.a. durch gemeinsame Aktionen mit Konzernkollegen aus Frankreich und anderen Ländern – geführt hat. Auch bei einem anderen Thema haben die Aktivitäten von Betriebsrat und Gewerkschaft bei dem Kraft­werks­bauer Vorbildcharakter: der Gefährdungs­beurteilung. Bei diesem Instrument zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen setzte die Beschäftigtenvertretung im Oktober 2000 ihr Mitbestimmungsrecht durch. Aus Anlaß dieses zehnjährigen Jubiläums zieht die Fachzeitschrift Gute Arbeit Bilanz.

Vor zehn Jahren sprach die Einigungsstelle beim Arbeitsgericht dem Mannheimer Alstom-Betriebsrat Mitbestimmungsrechte bei der Gefährdungsbeurteilung zu. Das ist heute – auch Dank der seinerzeitigen Auseinandersetzung in Mannheim – eine Selbstverständlichkeit. »Dieser Spruch der Einigungsstelle war der entscheidende Durchbruch in der Kontroverse um die Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes und die dabei zu beachtende Mitbestimmung des Betriebsrats – nicht nur für Alstom selbst«, heißt es in dem Zeitschriftenbeitrag. Das Vorgehen und die Einigung bei dem Kraftwerksbauer wurden zum Vorbild für viele derartige Vereinbarungen und Umsetzungsstrategien in anderen Betrieben.

In Mannheim konzentrierte sich die erste Runde der Gefährdungsbeurteilungen – die in einer von Betriebsrat und Management paritätisch besetzten »Gemeinsamen Kommission« bearbeitet werden – von 2001 bis 2004 auf physische Belastungen. Resultat waren bis heute rund 3000 Verbesserungsmaßnahmen. So wurden Hebehilfen angeschafft, um schweres Tragen zu vermeiden. Bildschirm­arbeits­plätze wurden ergonomisch eingerichtet, Zugluft abgestellt und Lärm vermindert.

Etwas komplizierter gestaltete sich der Umgang mit psychischen Belastungen, die in der zweiten Umsetzungsphase, zwischen 2004 und 2007, angegangen wurden. Bei den Fragebögen, mit deren Hilfe sie zunächst festgestellt wurden, wurde bei diesem sensiblen Thema streng auf Anonymität geachtet. Dennoch lag die Rücklaufquote der Fragebögen mit rund 75 Prozent zunächst deutlich niedriger als bei den nicht anonymisierten Fragebögen zu physischen Belastungen (92 Prozent). Im Laufe der Zeit verbesserte sich dieser Wert aber auf immerhin etwa 85 Prozent.

Die Ergebnisse waren allerdings nicht minder eindeutig: Vier Fünftel der Befragten berichteten von häufigem Zeitdruck und hoher Arbeitsdichte, drei Viertel bemängelten fehlende Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten. Infolge der Befragungen konnten bislang 370 Verbesserungsmaßnahmen im psychischen Bereich verabredet und umgesetzt werden – beispielsweise Schulungen für Vorgesetzte, die schlechtem Führungsverhalten entgegenwirken sollen.

Sorgen um ihren Arbeitsplatz machten sich zunächst mehr als zwei Drittel der Befragten. Zeitweise – während der Auseinandersetzung um Entlassungs- und Stillegungspläne der Konzernspitze – wurde dies naturgemäß zur größten psychischen Belastungsquelle. Trotz der extrem ungünstigen Situation in dieser Phase setzte der Betriebsrat seine Aktivitäten zur Gefährdungsbeurteilung fort und verband diese mit dem Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze, der letztlich erfolgreich war. Eine wichtige Voraussetzung sowohl für die Verteidigung der Jobs als auch für die Durchsetzung verbesserter Arbeitsbedingungen war und ist die aktive Einbeziehung der Beschäftigten, die regelmäßig informiert und für die Fragen des Arbeitsschutzes sensibilisiert werden.

Ausruhen auf der positiven Bilanz kann sich der Alstom-Betriebsrat allerdings nicht. Zum einen ist der Kampf um den Gesundheitsschutz eine permanente Aufgabe. Zum anderen geht es aktuell erneut um die Sicherung der Arbeitsplätze: Laut Medienberichten will der französische Konzern in seinem Mannheimer Werk 474 Stellen streichen. Die Verhandlungen darüber sollen in dieser Woche beginnen.

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