Historie: Vor genau 20 Jahren fusionierten BBC und Asea - mit dramatischen Folgen für die Industrielandschaft der Metropolregion

ABB hinterlässt viel verbrannte Erde

Von unserem Redaktionsmitglied Matthias Kros

mannheim. „Erst müssen wir schlanker werden, bevor wir wieder wachsen können”. Mit diesen Worten leitete Eberhard von Koerber, allererster Vorstandsvorsitzender der ABB Deutschland AG, die wohl dramatischsten Veränderungen der Industrielandschaft in der Rhein-Neckar-Region ein. Gesagt hat er sie vor genau 20 Jahren im Interview mit dieser Zeitung – und brachte damit die komplette Belegschaft gegen sich auf. Rund 4000 Arbeitsplätze sollte der wenige Wochen zuvor verkündete Zusammenschluss des Schweizer Elektrokonzerns BBC mit der schwedischen Asea zur ABB allein hierzulande kosten, mit 1500 Stellen traf es wie so oft Mannheim am härtesten. Was die Menschen besonders empörte, sprach Dieter Münch, damaliger Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der BBC, offen aus: „In den Worten von Eberhard von Koerber fanden wir kein Bedauern für die Familien, die von den Plänen betroffen sind”.

„Hier war Wild-West angesagt”

Erst schlanker werden, dann wieder wachsen. Wahr gemacht haben ABB und von Koerber in den Folgejahren freilich nur den ersten Teil dieses Vorhabens. Und zwar viel drastischer als zunächst geplant. Mehr als 36 000 Mitarbeiter zählte der Konzern bei der Fusion BBC/Asea bundesweit, heute sind es noch etwa 11 000. „Die waren wie im Rausch”, erinnert sich Peter Toussaint, Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Mannheim, an alte Zeiten. „Hier war Wild-West angesagt”. Regelrecht „Restruktrurierungs-verliebt” seien die Manager gewesen: „Wenn das Wort Restrukturierung nicht vorkam, dann hatte auch kein ABB-ler gesprochen.”

Und so befand sich die Mannheimer ABB im März 1988 im reinsten Schockzustand. Fast 6000 Mitarbeiter löcherten die Geschäftsführung während einer dreitägigen Betriebsversammlung - so lange hatte zuvor noch keine in Deutschland gedauert. Immer wieder legten ABB-ler dabei Holzkreuze - symbolisch für ihre Arbeitsplätze - auf dem Vorstandstisch nieder.

41 Vorstände kamen und gingen

Dabei wurde die Fusion noch wenige Wochen vorher als Traumehe gefeiert. Von einer „Liebes-Heirat” und einer neuen „Nord-Süd-Achse quer durch Europa” war 1988 die Rede. Doch mit der Euphorie war es spätestens Anfang 2000 vorbei. Hohe Schulden und Asbest-Klagen, die sich ABB durch eine Übernahme in den USA eingehandelt hatte, ließen die Eigenkapitaldecke des Konzerns so dünn werden, dass 2002 sogar die Insolvenz drohte. Erst das harte Fokussieren auf die Bereiche Energietechnik und Automation unter dem deutschen Konzernchef Jürgen Dormann brachte den Konzern wieder in die Erfolgsspur.

Endgültig verändert haben diese Einschnitte auch das Gesicht der ABB in Mannheim, wo in den vergangenen 20 Jahren 41 Vorstände kamen und gingen. Der einstige Konzern ist heute kaum noch zu erkennen. Großteile der Produktion sind verkauft oder geschlossen, auch die Nachfolgegesellschaften wie der Kraftwerksbau unter Regie des französischen Alstom-Konzerns kamen jahrelang nicht zur Ruhe. Gerademal gut 4000 Menschen sind in der Metropolregion heute noch für ABB tätig. „Viele der Maßnahmen haben aus heutiger Sicht sicherlich Sinn gemacht”, gibt sich Toussaint trotzdem versöhnlich. Schließlich sei der Konzern heute gesund, in der Metropolregion wurden 2007 erstmals sogar wieder rund 100 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt. „Nicht in Ordnung war allerdings die Art und Weise, wie ABB vorgegangen ist”.

Artikel MM Mitte 25. 3. 2008 S. 7

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