Alstom-Betriebsrat kritisiert Pariser Zentralismus

„Auftragsboom läuft an, doch Konzernleitung bedroht Existenz der Mannheimer Kraftwerksfabrik” - Siemens wirbt Mitarbeiter ab

Von unserem Redakteur Jürgen Eustachi MANNHEIM. Der Plan der Pariser Alstom-Konzernleitung, in Mannheim fast 1000 Arbeitsplätze abzubauen, bedroht nach Einschätzung des Betriebsrats die Existenz des Kraftwerksbau-Standorts genau in einer Phase, in der eine riesige Auftragswelle aus der deutschen Kraftwerkswirtschaft anrollt. Die Arbeitnehmervertreter sehen eine gefährliche Mischung aus zentralistischer Konzernführung in Paris und Versagen des deutschen Managements bei der Vertretung der Interessen der Landesgesellschaft in Paris.

„Wenn der Alstom-Konzernchef Patrick Kron sagt, so wird das gemacht”, dann gibt es im Management prinzipiell keine Kritik und keinen Widerspruch", sagte Alstom-Power-Konzernbetriebsrats-Chef Udo Belz gestern der RHEINPFALZ. Das Konzept, das in Mannheim etwa die Halbierung der Mitarbeiterzahl bis Ende 2007 auf dann noch rund 1000 vorsehe, sei vor einem halben Jahr in der Pariser Alstom-Zentrale beschlossen worden. Doch inzwischen löse sich der Auftragsstau in der Kraftwerkswirtschaft auf, auch als Folge der vorgezogenen Bundestagswahl. Die Vorstellung der Konzernleitung, den deutschen Markt mit einer Projektleitung in Frankreich oder in der Schweiz bedienen zu wollen, hält Belz für abwegig. „Das deutsche Kraftwerksgeschäft funktioniert anders als das in Kuwait”, sagt er. Allein die zahlreichen detaillierten Vorschriften und technischen Standards erforderten eine profunde Kenntnis der Besonderheiten im deutschen Kraftwerksbau.

Ein im Alstom-Intranet verbreiteter Strategieplan der Konzernleitung sieht so genannte Execution Offices, das sind Einheiten, die Kraftwerksprojekte komplett abwickeln, nur noch in Frankreich, der Schweiz und in Indien vor. Deutschland soll zu einem „Front Office”, sprich Verkaufsbüro, degradiert werden.

Bevor deutsche Stromversorger den Auftrag zum Bau eines Kraftwerks vergeben würden, ließen sie sich vom Kraftwerksbauer Listen mit den Namen der Experten geben, die das Projekt bearbeiteten. Damit wollten sie prüfen, ob ausreichend Personal zur Abwicklung des Geschäfts vorhanden sei, beschreibt der Betriebsrat das Geschäftsgebaren der Branche. Während Alstom den Standort Mannheim nach unten fahre, werbe der große deutsche Wettbewerber Siemens gezielt Leute aus der Quadratestadt ab, sagt Belz. Siemens habe den Ingenieurmangel rasch registriert und reagiert. „Die stellen genau die Leute ein, die bei uns entlassen werden sollen”, sagt er. „Siemens hat unsere internen Organigramme. Die sprechen gezielt Alstom-Leute an.”

Alstom-Chef Kron habe lange Zeit nicht an Prognosen eines neuen Kraftwerksbooms in Deutschland geglaubt, so Belz. Erst Ende September auf einer Tagung des Verbands der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) in Krakau hätten die französischen Manager begriffen, dass die Aufträge tatsächlich kommen werden. Sie hätten aber etwas hilflos neben ihren deutschen Alstom-Kollegen gestanden, die Gespräche mit Kunden geführt hätten - auf Deutsch. Belz: „Die französische Konzernleitung hatte ganz offensichtlich Probleme mit Kundengesprächen.” In Deutschland seien derzeit 21 neue Dampfkraftwerk-Projekte in der Vorbereitung. Sie sollten in den kommenden drei bis fünf Jahren fertig gestellt werden. Allein für 17 Projekte sollten die Aufträge bis Ende 2006 vergeben werden. Doch auch in dieser Situation traue sich das deutsche Alstom-Management nicht, den deutschen Standpunkt in Paris zu vertreten.

Stattdessen stellten „Heerscharen” deutscher Manager und Mitarbeiter Monat für Monat Folien mit Zahlen der deutschen Landesgesellschaft für die Pariser Konzernchefs zusammen. Aber aus Paris gebe es kaum eine Reaktion darauf. „So kann man ein globales Unternehmen nicht führen”, meint Belz. Er hätte Verständnis dafür, wenn dem deutschen Management Zielvorgaben etwa bezüglich der Rendite gemacht würden, und die Verantwortlichen vor Ort dann freie Hand hätten, diese Ziele zu erreichen. Doch bei Alstom sei das nicht so. „Die kriegen bis auf die letzte Stellschraube aus Paris vorgeschrieben, was sie machen sollen.” Von unternehmerischer Freiheit des Managements vor Ort könne da keine Rede sein.

Ein Alstom-Sprecher wollte gestern zu diesen Vorwürfen nicht Stellung nehmen. „Vorwürfe bringen uns heute nicht weiter”, sagte er. Unternehmensleitung und Betriebsrat wollen am kommenden Montag weiter über die Zukunft des Standorts Mannheim verhandeln. Das jetzt vom Management gemachte Zugeständnis, 150 Stellen weniger zu streichen als geplant, lehnen die Arbeitnehmervertreter als unzureichend ab.